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  • Beate

Der Pinguin in der Beratung

Aktualisiert: 11. Juli 2023

Dr. Eckart von Hirschhausen, der bekannte Mediziner und Moderator, beschreibt in einem Beitrag, wie er in Norwegen im Zoo zu den Pinguinen kommt und sie zunächst beobachtet, wie sie tollpatschig auf den Felsen dahinwatscheln. Flügel mit denen sie nicht fliegen können, Beine mit denen sie nicht richtig laufen können – er denkt: „Was für eine Fehlkonstruktion!“ Dann geht er in einen Bereich, der die Sicht auf die Pinguine im Wasser freigibt und sieht, wie ein Pinguin ins Wasser springt und plötzlich elegant und windschnittig dahingleitet. „Von wegen Fehlkonstruktion“ denkt er, „eher völlige Fehleinschätzung“ – das richtige Element ist das entscheidende!

Foto von Markus De Nitto auf Pixabay

Beratung in der Lehre professionalisieren


Beratung in der Lehre deckt häufig ein breites Feld ab, von der reinen Informationsweitergabe bis hin zur Unterstützung bei Entscheidungen oder bei Lern- und Arbeitsschwierigkeiten. In Verbindung mit emotionalen oder existenziellen Herausforderungen, z.B. bei anstehenden Drittversuchen oder finanziellen Sorgen, die Studierende in die Beratung führen, sind Beratungssituationen häufig unsicheres Terrain. Wie nimmst du deine Studierenden dort wahr und wie kannst du die Bearbeitung ihrer Anliegen und Problemstellungen so professionell unterstützen, dass sie sich in ihrem Element bewegen? Dazu geben wir dir in diesem Beitrag ein paar Tipps.


1) Der Beratung einen klaren Rahmen und eine gute Struktur geben


Dazu gehört auch, einen klaren zeitlichen Rahmen abzustecken und bei einem komplexen Anliegen lieber einen Folgetermin abzustimmen, als unter Zeitdruck ein schnelles Ergebnis erzielen zu wollen. Erste Schritte und Zwischenergebnisse können für die ratsuchende Person bereits entscheidende Weichen stellen und mit ein wenig Bedenkzeit bis zum nächsten Termin sind evtl. schon neue Lösungsoptionen entstanden.


Grundsätzlich ist folgende Gesprächsstruktur zu empfehlen:

(1) Gesprächseinstieg: Begrüßung, Rahmen und Ablauf benennen, Atmosphäre schaffen.

(2) Formulierung und Klärung des Anliegens: Studierende nennen den Grund ihrer Anwesenheit.

Entscheidung: Beratung ja oder nein.

(3) Bearbeitung des Anliegens.

(4) Schlussphase: Absprachen, Landepunkte anpeilen, (Zwischen-)Ergebnisse formulieren, Verabschiedung.


2) Die eigene Rolle(n) klar haben


„Als Beraterin verstehe ich mich als Anwältin der Ambivalenz“ – so hat es eine Teilnehmerin einmal in einem Workshop formuliert.


Im Hochschulalltag wirst du in verschiedenen Rollen auftreten: z.B. als Fachexpert:in, Prüfer:in, Lerncoach, Sparringspartner:in bei Abschlussarbeiten und eben als Berater:.in. An jede Rolle sind unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen geknüpft, so dass die Gefahr groß ist, im Rahmen eines Beratungsgesprächs in einen Rollenkonflikt zu geraten.


Unser Tipp: Mach dir deine verschiedenen Rollen bewusst und binde sie aktiv in die Beratung mit ein. Du kannst z.B. formulieren: „In meiner Rolle als Berater:in denke ich als erstes an dieses, in meiner Rolle als Prüfer:in habe ich natürlich gleich jenes im Kopf.“ Damit kannst du die Rollenvielfalt nutzen und darüber verschiedene Perspektiven aufzeigen, die der ratsuchenden Person vielleicht noch nicht so klar waren.



3) Das (echte) Anliegen klären


Die Anliegensklärung verlangt in einigen Fällen detektivisches Gespür. Prof. Geri Thomann unterscheidet dabei den „Sherlock Holmes-“ und den „Columbo“-Beratertypus (vgl. Thomann 2014, S.39 f.)*.


Während der Holmes-Typus versucht, sehr planvoll, analytisch und rational vorzugehen, agiert der Columbo-Typus eher offen, ungerichtet, planlos und intuitiv.


Was denkst du, in welchem Typus findest du dich eher wieder? Vielleicht ist dir auch der eine der andere Typus sympathischer? Auf jeden Fall ist keiner besser oder schlechter, denn beide verfolgen das gleiche Ziel und möchten etwas aufklären. Die Frage ist, in welcher Situation bzw. im Kontakt mit welcher ratsuchenden Person ist welcher Typus geeigneter? Und wenn du dir dieses Modell der beiden Typen auf einem Kontinuum vorstellst, wie kannst du es gut für dich nutzen?


Die Erfahrung zeigt auch, dass sich hinter einem zunächst genannten studentischen Anliegen oft noch etwas anderes, tiefer liegendes verbirgt, das es zu entdecken gilt. Wie beim Eisberg-Modell ist nicht nur wichtig, was oberhalb der Wasseroberfläche sichtbar ist, sondern auch was darunter liegt. Damit sind wir beim nächsten Punkt.


4) Mit Fragen führen - mehr zuhören als reden


„Ob ein Mensch klug ist, erkennt man an seinen Antworten.

Ob ein Mensch weise ist, erkennt man an seinen Fragen.“

Nagib Mahfuz


Als Fachexpert:in weißt du i.d.R. schnell was Sache ist und bist es häufig gewohnt, viel zu reden. Die Klärung eines studentischen Anliegens verlangt aber eher Kompetenzen im Zuhören und Fragenstellen. Die folgenden Fragetechniken kannst du sowohl für die Klärung des Anliegens, als auch für die Bearbeitung nutzen:


Offene Fragen:

Eruieren die Sicht der Gesprächspartner:in, z.B.

„Wie zufrieden sind Sie zur Zeit mit ...?“

„Wie beurteilen Sie ...?"


Hypothetische Fragen:

Klären Möglichkeiten, z.B.

„Wenn Sie die Möglichkeit hätten, sich neu zu entscheiden, was würden Sie tun?“

„Welche drei Dinge würden Sie sofort ändern, wenn Sie könnten?“

Zirkuläre Fragen:

Bringen die (vermutete) Perspektive anderer ein, z.B.

„Was glauben Sie, wie die anderen (z.B. Mitstudent:innen, Dozent:innen) das einschätzen?

„Wenn ich XY dazu befragen würde, was denken Sie, würde die Person sagen?“


Skalierende Fragen:

Lösen Verallgemeinerungen auf und zwingen, Position zu beziehen, z.B.

„Auf einer Skala von 1-10, wieviel Druck macht ihnen aktuell das Problem?“

„Wenn Sie Schulnoten vergeben würden, was wäre ...?“


Alternativfragen:

Engen Diskussionsraum ein, z.B.

„Wollen Sie bei ihrem Hausarbeitsthema bleiben, noch eine Woche mit Ihrer Entscheidung warten oder sofort wechseln?“


Damit hast du ein gutes Repertoire an Fragetechniken, auf das du bei deinen nächsten Beratungen zurückgreifen kannst.


Fazit


Professionelle Beratung in der Lehre braucht eine gute Struktur des Beratungsgesprächs, Klarheit im Hinblick auf die eigenen Rollen, eine Klärung des echten Anliegens und Kompetenzen im Zuhören und Fragenstellen.


Ergänzend ist es noch hilfreich während des Beratungsprozesses im Kopf zu haben:

  • der ratsuchenden Person gehört das Problem, und

  • die ratsuchende Person hat ein Problem, sie ist nicht das Problem;

und vielleicht hat sie einfach noch nicht ihr Element gefunden.


Und da kommt wieder der Pinguin ins Spiel.


Wertvolle und gute Beratung kann auch bedeuten, Studierende zu unterstützen und zu ermutigen, herauszufinden, welches ihr Element ist, in dem sie ihre Stärken ausspielen können.


In diesem Sinn wünschen wir dir für deine

nächsten Beratungsgespräche gutes Gelingen!



Die komplette Geschichte von Eckart von Hirschhausen findest du hier:

(Zugriff am 02.06.2023)


* Thomann, Geri: „Wahlmodul/Kurs Grundlagen der Beratung, 21. – 23.8. 2014“,

Campus PH Zürich.

Hier der Link zum Text von Prof. Thomann:

(Zugriff am 02.06.2023)



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